Berufspolitik

Wenn mir durch meine Arbeit auffällt, dass Patient*innen eine nicht ausreichende oder qualitativ nicht gute medizinische oder psychotherapeutische Versorgung bekommen, setzte ich mich für eine Veränderung ein. Dazu habe ich im Jahr 2020 zum Beispiel diese Institutionen und Entscheidungsträger*innen kontaktiert:

  • Fachstelle Kinderschutz: Ich habe Handlungsmöglichkeiten besprochen bezüglich der strukturellen Probleme beim Kinderschutz, die ich in meiner Praxis erlebe.
  • Bundesministerium für Gesundheit: Ich habe die Probleme der Bedarfsplanung mitgeteilt, die dazu führen, dass die Gesundheit von Patient*innen gefährdet ist.
  • Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Franziska Giffey: Ich habe die Ministerin über die unzureichende Hilfe für Kinder, die sexuelle Gewalt erlebt haben, informiert.
  • Berufsverband Deutscher Psycholog*innen: Ich habe dem Berufsverband geraten, wissenschaftliche Qualitätskriterien für die Verleihung von Gütesiegeln für Onlineberatung zu nutzen.
  • Internisten im Netz: Ich habe dem Berufsverband Deutscher Internisten mitgeteilt, dass es meiner Meinung nach schädliche Folgen für Patient*innen haben kann, wenn auf der offiziellen Internetseite fake news wie die "Bioresonanz-Therapie" verbreitet werden.
  • TRU DOKU von funk (ARD, ZDF): Ich habe mitgeteilt, dass man die Aussagen des Arztes Dr. Tammer in der Dokumentation nicht unkommentiert lassen kann ("ne richtig gute Depressionsbehandlung" bestehe u.a. aus "Neuromodulationsverfahren").

 


Meine Positionen

Ich mache keine Berufspolitik im engeren Sinne; zwar teile ich viele Positionen meiner beiden Berufsverbände DPtV und DGVT, aber nicht alle. Ich halte es z.B. für falsch, dass es allgemein als "Nötigung" empfunden wird, wenn neue sozialrechtliche Vorgaben eingeführt werden. Ich befürworte Vorgaben, die Patient*innen zugutekommen. Und ich finde es wichtig, dass Ärzte und Psychotherapeuten trotz Freiberuflichkeit nicht alles tun dürfen.

 

Beispiele für rechtliche Rahmenbedingungen, die ich befürwortet habe:

  • Einführung der psychotherapeutischen Sprechstunde: Öffentlich gab es zunächst viel Ablehnung für die verpflichtende Einführung der psychotherapeutischen Sprechstunde; einige Zeit nach deren Einführung wurde sie von vielen Therapeuten als sinnvolle Maßnahme betrachtet.
  • Einführung der Terminvermittlung durch die Terminservicestelle: Ich finde es gut, dass Patient*innen sich an die TSS wenden können, wenn sie anderweitig keinen freien Termin bei einem Arzt oder Psychotherapeuten bekommen. Ich finde es schlecht, dass Patient*innen nach einem Ersttermin keine weiteren Termine bekommen weil keine Behandlungskapazitäten frei sind.
  • Einführung eines Zielerreichungsinstruments: Eine Zeitlang gab es den Vorschlag, dass Psychotherapeuten verpflichtend Zielerreichungsinstrumente wie eine visuelle Analogskala (wikipedia.org/wiki/Visuelle_Analogskala) nutzen müssen, damit Therapien zielführender verlaufen. Diese Maßnahmen wurde nicht eingeführt.
  • Einführung einer gestuften und gesteuerten Versorgung: Ich war in der Minderheit, als ich nicht die Petition gegen die Einführung einer gestuften und gesteuerten Versorgung unterschrieben habe. Nur kurze Zeit nachdem der Entwurf des Terminservice- und Versorgungsgesetz veröffentlich wurde, startete diese Petition und sie fand sehr großen Anklang. Manche Argumente fand ich richtig (u.a. dass es mehr Psychotherapeuten braucht). Ich bedaure aber, dass die Idee hinter diesem Gesetzentwurf nicht diskutiert wurde. Ich bin für eine gestufte Versorgung (stepped care; Beispiel Depressionsbehandlung), da sie meiner Meinung nach die Behandlung einer größeren Zahl an Patient*innen sichert. Ich bin auch für einen Abbau der Fehlsteuerung von Patient*innen im Gesundheitswesen (z.B. im Bereich der Therapie chronischer Schmerzen).
  • Einführung der Videosprechstunde: Gerne hätte ich schon 2019 Videosprechstunden angeboten für Patient*innen, die nur schlecht in meine Praxis kommen konnten, z.B. da ihre Eltern kein Auto haben; aber vor der Corona-Pandemie war mir das berufsrechtlich grundsätzlich nicht erlaubt durch die Berufsordnung der Ostdeutschen Psychotherapeutenkammer.
  • Einführung einer neuen Approbationsordnung: Bezüglich des neuen Psychotherapeutengesetztes vom 1.09.2020 wird teilweise beklagt, dass die "Verfahrensvielfalt" in der Psychotherapie in Gefahr sei. Es wird teils kritisiert, dass zu viel Wert auf Behandlungsleitlinien gelegt werde (Dipl. Psych. Bernhard Wurth, Kammerbrief der Psychotherapeutenkammer Berlin 2-2020). Meiner Meinung nach ist die Vielfalt an Behandlungsmethoden kein schützenswertes Gut an sich, sondern die beste Behandlung für Patient*innen ist der höchste anzustrebende Wert (vgl. Grawe, 1998. S. 714). Dazu muss sich Psychotherapie fortlaufend einer wissenschaftlichen Prüfung stellen.

 

Dauerhaft setze ich mich für die evidenzbasierte Medizin und Psychotherapie ein. Dafür werde ich jedes Mal aufs Neue motiviert, wenn mir Patient*innen von negativen Erlebnissen berichten aufgrund von abenteuerlichen Therapien (z.B. Gruppentherapien mit aggressiven Jugendlichen, tiefenpsychologische Therapie bei Enkopresis und vieles weitere mehr).


Quellen

Grawe, K. (1998). Psychologische Therapie. Göttingen: Hogrefe