Gruppentherapie-Konzepte

<<Es gibt eine kaum überschaubare Fülle verschiedenartiger Gruppenkonzepte, die sich bis heute im Bereich der Behandlung psychischer Störungen fest etabliert haben>> (Fiedler, 2005). Nachfolgend sind einige Gruppentherapie-Konzepte erläutert.


Störungsspezifische, manualisierte Gruppen

Eine störungsspezifische Gruppe richtet sich an Patient*innen mit einer bestimmten psychischen Störung (z.B. Depression). Ähnlich ist dies bei einer indikationsspezifischen Gruppe (z.B. ein Training sozialer Kompetenzen).

 

Man nennt diese Gruppen auch manualisiert oder standardisiert wenn die Inhalte einem Behandlungsmanual folgen (also einem ausgearbeiteten Behandlungsprogramm). Dabei stehen die Inhalte der Sitzungen, die eingesetzten Methoden, die Ziele und der Ablauf der Termine im Vorhinein fest. Die Struktur von Sitzungen bei manualisierten Gruppen ist in der Regel:

  1. Eröffnungsrunde: Die Gruppenteilnehmer*innen werden gebeten, ihre Erfahrungen mit der letzten Therapie-Aufgabe zu nennen.
  2. Manualgeleitete Arbeitsphase: Ein bestimmtes Thema wird in der Sitzung besprochen (z.B. das Erklärungsmodell von ADHS). Alle Gruppenteilnehmer*innen arbeiten gemeinsam an diesem Thema. Oftmals erhalten Patient*innen dafür Arbeitsblätter. Diese Teilnehmermaterialien sollen sie zu jedem Termin mitbringen.
  3. Abschlussrunde: Am Ende werden die Teilnehmer*innen gebeten, zu sagen, was man 'mitnimmt' aus der Gruppenstunde.

In manualisierten Gruppentherapien wird weniger Zeit darauf verwendet, individuelle Themen einzelner Gruppenteilnehmer*innen zu besprechen. Dennoch können die Inhalt individuell "passend" sein, wenn die Gruppeninhalte konsequent themenbezogen sind. Einige Patient*innen erleben es zudem als große Erleichterung, "was sie ganz konkret in jeder Gruppentherapiestunde erwartet" (Lindenmeyer 2020).


Einzelfallorientierte, zieloffene Gruppen

Hier spricht man auch von "Einzeltherapie in der Gruppe". Bei diesem Gruppenkonzept können sich ein oder zwei Gruppenmitglieder in jeder Therapiesitzung für eine Einzelarbeit entscheiden. Für diese Fokuspatient*innen wird in und mit der Gruppe versucht, Lösungsideen für einer Problematik zu erarbeiten. Man bezeichnet Gruppen auch als "zieloffene Gruppen", wenn die Inhalte der Sitzung nicht vorher feststehen,  sondern die Teilnehmer*innen die Themen vorgeben, aus denen dann konkrete Ziele abgeleitet werden.

 

Die gleichbleibende Struktur einzelfallorientierter Sitzungen ist:

  1. Eröffnungsrunde: Jedes Gruppenmitglied wird gebeten, kurz das Thema, das sie / ihn beschäftigt zu nennen (beispielsweise nennt ein Patient Streit mit den Eltern). Jedes Gruppenmitglied wird danach gefragt, ob er / sie dieses Thema in der heutigen Stunde vertiefen möchte in der Bearbeitungsphase.
  2. Bearbeitungsphase: Von den Teilnehmer*innen, die in der Eröffnungsrunde sagten, dass sie ein Thema vertiefen möchten, wird ein Protagonist ausgewählt. Das erwünschte Ziel dieses Protagonisten für die heutige Gruppensitzung wird herausgearbeitet: Worum geht es ihr / ihm bei dem erwähnten Thema? Ideen werden darüber gesammelt, welche Methoden geeignet sind, um dieses Ziel zu erreichen (z.B. Rollenspiele, Verhaltensanalyse). Dann arbeitet der Protagonist mit der Hilfe der gesamten Gruppe an der Erreichung des Ziels.
  3. Abschlussrunde: Jedes Gruppenmitglieder wird gebeten, zusammenzufassen, was heute für sie / ihn am wichtigsten in der Gruppensitzung war.

Fiedler (2005) nennt sein Konzept "Verhaltensanalytische Gruppentherapie". Marwitz (2016) entwickelte die "Anliegenbezogene verhaltenstherapeutische Gruppentherapie". 


Störungsübergreifende Gruppen

An störungsübergreifenden Gruppen nehmen Patient*innen teil, bei denen verschiedenen psychische Störungen diagnostiziert wurden. Man nennt sie daher transdiagnostisch. Es gibt mehrere Gründe, störungsübergreifende Gruppen durchzuführen:

  • "Reine Störungsbilder, so wie sie in den Klassifikationssystemen vorgestellt werden, stellen idealtypische kategoriale Beschreibungen dar", die man mit dieser Trennschärfe in der Praxis eher selten vorfinde (Maur, Schwenck 2013).
  • Faktoren wie Selbstwertprobleme oder soziale Kompetenzdefizite können entscheidend zu verschiedenen psychischen Störung beitragen (Angststörungen, Depression etc.). Wenn eine Gruppentherapie beispielsweise speziell die sozialen Kompetenzen trainieren soll, nennt man dies auch eine indikationsspezifische Gruppe.

Ein Beispiel für ein störungsübergreifendes Gruppenkonzept ist FESSKO (Maur, Schwenck 2013). Es richtet sich an Kinder und Jugendlichen zwischen 7 und 13 Jahren (die Übungen sind teilweise nach Alter differenziert: 7 - 10 Jahre und 11 - 13 Jahre). Die Gruppengröße beträgt fünf bis maximal acht Kinder. Die Gruppe sollte gemischt zusammengesetzt sein (m / w / d; mit internalisierenden und externalisierenden Problemen). Die Gruppentherapie umfasst zehn bis 16 Sitzungen. Die Module 1 bis 7 dauern jeweils 60 Minuten und finden ein- bis zweimal pro Woche statt:

  1. Kennenlernen
  2. Selbstwert
  3. Emotionen
  4. Kognitionen
  5. Selbst- und Fremdwahrnehmung
  6. Emotionsregulation und Problemlösen
  7. Familie

Das Modul 8 beschreibt die Elternarbeit: Nach jeder Gruppe der Kinder / Jugendlichen findet mit den Eltern und den Kindern gemeinsam die Elternarbeit statt (30 Minuten). Zusätzlich ist ein einmaliger Elternabend vorgesehen (90 Minuten), der noch vor Beginn des Moduls 1 stattfindet.

"FESSKO richtet sich an Kinder mit Defiziten in sozialen, kognitiven und emotionalen Kompetenzen", z.B. bei diesen Störungen: ADHS, Störungen des Sozialverhaltens, Angststörungen, depressive Störungen, Traumafolgestörung.


Geschlossene, halboffene und offene Gruppen

  1. Geschlossene Gruppe: Bei einer geschlossenen Gruppe nehmen vom ersten bis zum letzten Termin immer dieselben Gruppenmitglieder teil. Dadurch ist es möglich, eine bestimmte Abfolge von aufeinander aufbauenden Themen zu bearbeiten - von einem Termin zum nächsten.
  2. Halboffene Gruppe: Wenn zu bestimmten Zeiten neue Patient*innen zu einer Therapiegruppe hinzu kommen, während andere aus der Gruppe ausscheiden, wird dies als halboffene Gruppe bezeichnet. Typischerweise ist die Behandlungsdauer einheitlich für alle Patient*innen (z.B. 20 Sitzungen).
  3. Vollkommen offene Gruppe: Bei einer offenen Gruppe ist ein Einstieg und ein Ausstieg jederzeit möglich. Dadurch gibt es keine festen Gruppenteilnehmer*innen. Die Inhalte der Termine bauen nicht aufeinander auf. Die Gruppe folgt einem 1-Sitzungs-Konzept, jede Sitzung stellt eine in sich abgeschlossene Einheit dar (Marwitz 2016). Dadurch ist es nicht möglich, komplexe Fertigkeiten zu vermitteln, deren Erwerb mehrere Sitzungen erfordern.

Bei offenen / halboffenen Gruppen werden Gruppenneulinge beim ersten Termin vorgestellt. "Ältere" Gruppenmitglieder können die Gruppenregeln den neu hinzukommenden erläutern. Ausscheidende Gruppenmitglieder bekommen bei ihrem letzten Termin eine Verabschiedung.


Gruppenkonzepte, die inkompatibel sind zur Kognitiven Verhaltenstherapie (KVT)

Interaktionelle und gruppendynamische Konzepte: Bei diesen Konzepten steht die Interaktion zwischen den Teilnehmer*innen im Vordergrund. Die Gruppe wird als "sozialer Mikrokosmos" betrachtet (Yalom in seinem Lehrbuch "Theorie und Praxis der Gruppenpsychotherapie). Es wird davon ausgegangen, dass die alltäglichen Probleme der Teilnehmer*innen sich irgendwann auch in der Gruppe zeigen werden. Die Therapiemethode besteht aus der Herbeiführung und anschießenden Analyse gruppendynamischer und interpersoneller Vorgänge. Das Ziel ist es, die Bewusstheit der Teilnehmer*innen über ihr Beziehungsverhalten zu vergrößern. Eine solche "Betonung und Freisetzung gruppendynamischer Prozesse und von Beziehungskonflikten ist jedoch umstritten" (Fiedler, 2005).

 

Gruppentherapien, bei denen die Gruppendynamik, also Interaktionsschwierigkeiten der Gruppenmitglieder untereinander, gefördert wird, sind "inkompatibel" (Marwitz 2016) mit verhaltenstherapeutischen Gruppenkonzepten. Diese zwei konträren "Therapiewelten" lassen sich nicht integrieren.


Gemeinsamkeiten zwischen verhaltenstherapeutischer Einzel- und Gruppentherapie

Gemeinsamkeiten von verhaltenstherapeutischer Einzel- und Gruppentherapie:

  • Patient*innen werden angeleitet, neue Verhaltensweisen zu erlernen, die sie im Alltag einsetzen können.
  • Die eigentliche Veränderungsarbeit geschieht durch die Patient*innen zwischen den Therapiestunden.
  • Statt eine zurückhaltende Rolle einzunehmen, strukturieren Verhaltenstherapeut*innen aktiv die Therapiestunden.

Wirksamkeitsforschung

Verhaltenstherapeutische Gruppen sind die mit Abstand am meisten wissenschaftlich untersuchten Gruppentherapien. Die bisherige Wirksamkeitsforschung (für das Erwachsenenalter) lässt folgenden Schluss naheliegend erscheinen: "Wann immer möglich, sollten (...) homogene Gruppen zusammengestellt werden (...) und die Durchführung der Therapie sollte entweder manualgeleitet (Inhalte und Ablauf der Sitzungen werden vorgegeben) oder manualorientiert (von Manualinhalten ausgehend werden die Sitzungen flexibel gestaltet) erfolgen" (Marwitz 2016).



Quellen

Lindenmeyer, J. (2020): Therapie-Tools, Gruppentherapie 1.

 

Marwitz, M. (2016): Verhaltenstherapeutische Gruppentherapie. Grundlage und Praxis.

 

Fiedler, P. (2005): Verhaltenstherapie in Gruppen. Psychologische Psychotherapie in der Praxis.

 

Maur, S., Schwenck, C. (2013): Störungsübergreifende Gruppentherapie für Kinder und Jugendliche. Kompetenzen fördern mit FESSKO