Zur Geschichte der Verhaltenstherapie

Es gibt verschiedene Therapieverfahren, die sich teilweise stark voneinander unterscheiden. Die Kosten für eine Psychotherapie werden von deiner Krankenkassen übernommen, wenn es sich um eine Verhaltenstherapie handelt oder um eine Psychotherapie, die auf den Ansätzen von Sigmund Freud aufbaut (die Psychoanalyse und tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie) oder bei der Systemischen Therapie. Ich biete in meiner Praxis die Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) an. Damit Patienten von einer KVT profitieren, ist es wichtig, deren Grundlagen zu kennen.

Die Entstehung der Verhaltenstherapie

Die Verhaltenstherapie hat keinen "Gründungsvater" so wie es Sigmund Freud für die Psychoanalyse war. Stattdessen entstand sie durch wissenschaftliche psychologische Forschung: In der Mitte des 20. Jahrhunderts berichteten Forscher aus den USA, England und Südafrika über große Erfolge bei der Behandlung von Ängsten. Das Neue an ihrer Arbeit war, dass sie erfolgreich Verhalten verändern konnten allein durch die Anwendung naturwissenschaftlicher Gesetzmäßigkeiten. Ganz bewusst wurden psychische Vorgänge wie Gedanken und Gefühle nicht betrachtet, da man z.B. Gedanken für nicht empirisch messbar  hielt. Daher stammt der Begriff, welcher die frühe Verhaltenstherapie kennzeichnet: "Behaviorismus" (behavior = Verhalten). Aufbauend auf den wissenschaftlichen Erkenntnissen wurden Lerngesetze formuliert, die menschliches Verhalten erklären und vorhersagen konnten.


Wegen dieser Vorgehensweise lautet auch heute noch Kritik an der Verhaltenstherapie, dass sie "oberflächlich" sei und "nicht in die Tiefe" ginge. So als ob Verhaltenstherapeuten nicht wüssten, dass Menschen Gedanken und Gefühle haben und in einem bestimmten gesellschaftlichen Kontext leben, der sie beeinflusst. In Wahrheit ist die Verhaltenstherapie durch die bewusste Reduktion auf empirische wissenschaftliche Daten entstanden.


Verhaltenspsychologie & Lerntheorien

Klassische Konditionierung


Die klassische Konditionierung ist ein Lernvorgang, der z.B. bei Ängsten eine große Rolle spielt.

 

Eine bekannte Studie handelt vom "kleinen Albert". Diese Studie würde heute keine Ethikkommission mehr befürworten. So lief die Studie ab: Ursprünglich hatte Albert keine Angst vor Nagetieren als er den Wissenschaftlern vorgestellt wurde. Ihm wurde eine Ratte präsentiert. Und: Immer, wenn Albert versuchte, das Tier zu streicheln, wurde hinter ihm mit einem Hammer auf eine Eisenstange geschlagen. Albert erwarb durch die Kopplung der Reize (Ratte + Angstreaktion) eine Phobie vor Ratten.

 

> Das Prinzip der klassischen Konditionierung ist: Vorangehende Reize können das Verhalten von Menschen beeinflussen.

Operante Konditionierung


Die operante Konditionierung ist ein Lernvorgang, der bei sehr vielen psychischen Problemen eine Rolle spielt: Bei Depressionen, Ängsten, selbstverletzendem Verhalten, ADHS, Sozialverhaltensproblemen und so weiter.

 

Bei diesem Lernvorgang wird die Häufigkeit von Verhaltensweisen durch die darauf folgenden Konsequenzen beeinflusst.

 

Eine angenehme Konsequenz führt dazu, dass ein Verhalten häufiger wird. Diese Form der Konsequenz wird "Verstärker" genannt. Unangenehme Konsequenzen hingegen führen dazu, dass ein Verhalten seltener wird. Man bezeichnet diese Art der Konsequenz als "Bestrafung".

 

> Das Prinzip der operanten Konditionierung ist: Nachfolgende Reize können das Verhalten beeinflussen.



Am Beispiel von Spielsucht und Slotmachines erklärt dieses mailab-Video die operante Konditionierung, also die Beeinflussung von Verhalten durch Konsequenzen.

Weitere englischsprachige Videos über die Lerntheorien auf YouTube:

TED-Ed: The difference between classical and operant conditioning

American Psychological Association: Confusing conditioning: classical and operant


Die wichtigste Weiterentwicklung: Die kognitive Therapie

In den 1970er Jahren stießen Therapeuten bei der Anwendung der klassischen Lerntheorien an Grenzen. Sie alleine reichten z.B. bei der Behandlung von Depressionen nicht aus. Zur Überwindung der Grenzen wurden Theorien erarbeitet, die über das rein beobachtbare Verhalten hinausgingen. Von nun an wurden auch wieder intrapsychische Vorgänge des Menschen betrachtet: Gedanken (Kognitionen) und Gefühle. So entstand die kognitiv-behaviorale Therapie oder kognitive Verhaltenstherapie. Die wichtigsten Ansätze und ihre Gründer sind:

Modell-Lernen (Albert Bandura)

Beim Modell-Lernen erwirbt eine Person Verhaltensweisen, indem sie eine andere handelnde Person beobachtet. Das Lernen geschieht also durch Nachahmung (Imitation). Diese Gesetzmäßigkeiten erforschte Albert Bandura und stellte damit die sozial-kognitive Lerntheorie auf. Das Beobachtungslernen spielt auch bei der Verursachung psychischer Störungen eine Rolle: Ein Kind, das sieht, dass seine Mutter voller Angst vor einer Spinne erschrickt, kann hierdurch lernen, dass Spinnen eine Gefahr darstellen. Ein Kind, das in der Familie lernt, dass man sich durchsetzen kann durch Schreien, wird dieses Verhalten ebenfalls anwenden wenn es sich gegen die Eltern durchsetzen will.

Selbstmanagement-Therapie (Frederick Kanfer)

Die Selbstmanagement-Therapie wurde vor allem von Frederick Kanfer begründet. Die Rolle des Therapeuten und die des Patienten wurde neu definiert: Die Rolle des Therapeut ist es, den Patienten zu besserer Selbststeuerung anzuleiten und ihn zu motivieren, Probleme möglichst aktiv und selbständig zu bewältigen.

Selbst-Instruktions-Training (Donald Meichenbaum)

Im Jahr 1975 wurde das Selbstinstruktionstraining von Donald Meichenbaum entwickelt. Hierbei spielen die Kognitionen der Patienten bei der Verhaltenssteuerung eine entscheidende Rolle. Der Therapieansatz bestand darin, die negativen "Selbstgespräche" (Selbstinstruktionen) der Patienten in angemessenere zu verändern.

Rational-Emotive Therapie (Albert Ellis)

Albert Ellis entwickelte einen Ansatz, den er rational-emotive Verhaltenstherapie nannte. "Nicht die Dinge an sich beunruhigen uns, sondern unsere Sichtweise auf die Dinge", lautet eine Überzeugung von Ellis.

 

Teil seines Ansatzes ist das ABC-Modell: Ein Ereignis (Activating event) löst eine gedankliche Bewertung (Belief) aus. Psychische Probleme können entstehen, wenn die Bewertung eines Ereignisses "irrational" ist, also unlogisch oder nicht-hilfreich. Bewertungen führen in ihrer Konsequenz (Consequence) zu bestimmten Gefühlen und Verhaltensweisen.

 

Ein Hinterfragen (Disput) dieser Bewertungen ist nötig, damit die gewünschte therapeutische Wirkung (Effect) eintreten kann.

CC BY-SA 4.0. https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/ Autor: Philipp Guttmann . https://commons.wikimedia.org/wiki/User:Artyl
CC BY-SA 4.0. https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/ Autor: Philipp Guttmann . https://commons.wikimedia.org/wiki/User:Artyl

Kognitive Therapie (Aaron T. Beck)

Aaron T. Beck entwickelte die kognitive Therapie der Depression. Beck argumentierte, dass negatives Denken nicht nur ein Symptom der Depression ist, sondern dass negatives Denken die Depression aktiv aufrechterhält. Beck war überzeugt, dass viele gedankliche Annahmen ihren Ursprung in der Kindheit oder Jugend haben. Er nannte diese tiefer liegenden Gedanken Grundannahmen.

 

Ein Beispiel für eine Grundannahme ist: "Nur wenn ich gute Leistungen habe, bin ich etwas wert". Diese Grundannahme kann hilfreich sein, da sie ein Ansporn ist, sich anzustrengen. Sie kann aber auch problematisch sein: Wenn man bei einer Prüfung scheitert, können automatische negative Gedanken auftreten ("Ich bin ein Versager"). Diese können zu einer depressiven Stimmung führen. Die depressive Stimmung wiederum lässt weitere negative Gedanken auftreten.

 

Das kognitive Modell besagt, dass die Art und Weise, wie wir eine Situation wahrnehmen und bewerten, entscheidend beeinflusst, wie wir uns fühlen und verhalten. Zum Beispiel könnte eine Person, die diese Zeilen liest, denken: "Wow, das hört sich interessant an! Danach habe ich schon immer gesucht". Während eine andere Person vielleicht denkt: "Ich glaub' nicht, dass mir das weiter hilft". Wie man sich fühlt liegt also nicht an der Situation, sondern am Denken über die Situation.

 

Nachteiliges Denken (welches die Stimmung und das Verhalten einer Person beeinflusst) findet sich bei fast allen psychischen Störungen. Wenn man lernt, seine nachteiligen Gedanken zu hinterfragen ("Ist der Gedanke realistisch und nützlich?"), erlebt man eine Verbesserung bezüglich seines emotionalen Befindens und in seinem Verhalten. Um nicht nur in einzelnen Situationen zu Verbesserungen zu kommen, arbeiten Therapeuten an den Grundannahmen der Patienten über sich selbst, über die Welt und über die Zukunft.

Beispiele für verhaltenstherapeutische Methoden und Techniken

Welche Methoden und Techniken in einer Verhaltenstherapie genutzt werden, hängt von der Problematik von Patient*innen ab. Der Schwerpunkt der Behandlung kann auf diesen Methoden liegen (§17 Psychotherapie-Richtlinie):

  1. Stimulusbezogene Methoden (z. B. systematische Desensibilisierung),
  2. Responsebezogene Methoden (z. B. operante Konditionierung, Verhaltensübung)
  3. Methoden des Modelllernens,
  4. Methoden der kognitiven Umstrukturierung (z. B. Problemlösungsverfahren, Immunisierung gegen Stressbelastung)
  5. Selbststeuerungsmethoden (z. B. Selbstkontrolltechniken)

Immer zum Einsatz kommen die Verhaltensanalyse und das Festlegen von Therapiezielen.

 

"Eine psychotherapeutische Technik ist eine konkrete Vorgehensweise mit deren Hilfe die angestrebten Ziele" erreicht werden sollen (§7 Psychotherapie-Richtlinie). Hier sind einige Techniken:

  • Aktivitätsaufbau wird genutzt z.B. in der Behandlung von Depressionen. Der Patient lernt, häufiger als bisher aktiv zu handeln um mehr positive Verstärkung zu erfahren.
  • Apparative Verhaltenstherapie: Diese kommt zum Einsatz bei der Behandlung des nächtlichen Einnässens (Enuresis nocturna). Eine "Klingelmatratze", gibt ein Signal von sich beim Harnlassen, sodass die Person aufgeweckt wird und dadurch im Verlauf der Zeit lernt, nicht mehr ins Bett zu machen.
  • Entspannungsverfahren wie z.B.  die Progressive Muskelrelaxation (PMR) werden bei vielen Störungen als ein Teil des Behandlungsplanes eingesetzt.
  • Gedankenstopp: Es wird versucht, in dem Moment, in dem ein nicht hilfreicher Gedanke auftritt, durch die Vorstellung oder das Aussprechen des Wortes "Stopp" den Gedanken zu unterbrechen. Dies kann z.B. eingesetzt werden beim Grübeln.
  • Therapie-Hausaufgaben werden in der Therapiesitzung geplant, sodass der Patient eine Aktivität bis zur nächsten Therapiestunde selbstständig durchführt. Dies kann eine Selbstbeobachtung sein (das Aufschreiben von Gedanken), ein Verhaltensexperiment oder der Aktivitätsaufbau [siehe oben].
  • Motivational Interviewing wird eingesetzt um Patienten zu helfen, welche ambivalent eingestellt sind gegenüber einer Verhaltensänderung. Dazu gehört das empathische Verstehen (reflective listening), das Stellen offener statt geschlossener Fragen, das Sprechen über mögliche Veränderungen (change talk) und der Verzicht auf direkte Konfrontationen (rolling with resistance).
  • Münzverstärkung: Systematische Anreize werden verwendet um ein bestimmtes Zielverhalten zu verstärken, also häufiger werden zu lassen. Die "Münzen" (englisch: Tokens) sind das Austauschmedium für verschiedene später dafür eintauschbare Belohnungen. Diese Technik wird z.B. eingesetzt bei der Förderung von sozial verträglichem Verhalten oder von konzentriertem Verhalten in der Schule.
  • Problemlösetraining: Hierbei lernt der Patient eine strukturierte Herangehensweise an verschiedene Probleme. Es besteht aus mehreren Schritten: Vorbereitung, Problembeschreibung, Problemanalyse, Zielanalyse, Lösungsplanung, Ausprobieren der Lösung, Bewertung des Lösungsversuchs, Planung der weiteren Anwendung des Lösungsversuchs.
  • Selbstbeobachtung kann eingesetzt werden um Informationen zu sammeln (diagnostischer Einsatz) oder als Selbstkontrolltechnik (therapeutischer Einsatz). In beiden Fällen beobachtet der Patient Handlungen, Gedanken oder Gefühle und protokolliert diese z.B. in einem Tagebuch.
  • Sokratische Gesprächsführung ist eine Gesprächstechnik, bei der Therapeuten darauf verzichten, dem Patienten Wissen direkt zu vermitteln (also kein Frontalunterricht machen). Stattdessen soll der Patient durch  das Stellen von Fragen zu eigenen neuen Erkenntnissen kommen.
  • Stimuluskontrolle meint die Beeinflussung von Verhaltensweisen durch die geplante Kontrolle über die (dem Verhalten vorausgehenden) Umweltbedingungen. Eingesetzt werden kann diese Technik z.B. bei Arbeitsstörungen. Ein unaufgeräumter Schreibtisch (=Umweltbedingung) erhöht die Wahrscheinlichkeit für Ablenkungen und nicht-produktives Arbeiten.
  • Rollenspiele über reale Situationen werden durchgeführt, da in jeder Situation verschiedene Handlungsmöglichkeiten möglich sind, bestimmte Wege aber für den Patienten unbekannt oder ungeübt sein können. Neues Verhalten kann erprobt und erlebt werden.

Weitere Literatur, Links & Materialien

Patienten, die überlegen, eine Therapie zu beginnen, finden in diesem Buch weitere Informationen: Wegweiser Verhaltenstherapie von Frederick H. Kanfer & Dieter Schmelzer. Es richtet sich auch an diejenigen Patienten, die gerade eine Therapie machen und Informationen suchen, was sie zum Erfolg der Therapie beitragen können.

 

Besonders wertvoll ist der Film Alles steht Kopf (Originaltitel: Inside Out): So urteilte die Deutsche Film- und Medienbewertung. Der Animationsfilm zeigt anschaulich innerhalb einer durchdachten Storyline den Zusammenhang zwischen Situationen, hilfreichen und weniger hilfreichen Gedanken, Gefühlen und Verhaltensweisen.

 

Aaron T. Beck, einer der Pioniere der Verhaltenstherapie, wurde 97 Jahre alt im Jahr 2018. Auch in seinem hohen Alter gibt er seine Erkenntnisse über die kognitive Therapie an andere weiter. Das Beck Institute for Cognitive Behavior Therapy bietet auf YouTube Interviews mit dem Gründer der Kognitiven Therapie, z.B. zum Thema "Core Beliefs"

 

Es gibt mehrere Hörbücher auf Englisch über die rational-emotive Therapie nach Ellis, z.B. How to Stubbornly Refuse to Make Yourself Miserable About Anything - Yes, Anything!