Lebensende & Sinn des Lebens

Menschen können erschüttert werden durch den Tod von geliebten Menschen oder aufgrund der Bedrohung durch eine schwere Krankheit. Manche Patient*innen kommen zu Therapeut*innen, da sie nach dem Tod von Angehörigen sich Gedanken machen wie: "Warum musste er / sie sterben?". Wenn man keine Antwort findet auf eine Frage, kann es sein, dass man zu grübeln beginnt: Die Gedanken kreisen, ohne dass man dabei zu einer Lösung kommt.

 

Verschiedene Philosoph*innen und Psychotherapeut*innen betonen, wie gewinnbringend die gedankliche Beschäftigung mit der Endlichkeit des Lebens für ein gelingendes Leben ist. Das ist aber keine Selbstverständlichkeit, denn wenig ist so sehr gefürchtet, vermieden und tabuisiert wie der Tod. Dies liegt vermutlich daran, dass viele Menschen Angst vor der Endlichkeit des Lebens, vor dem Ende des eigenen Selbst und des eigenen Bewusstseins haben  .<<Psychologisch gesehen ist diese Angst nicht Furcht, die sich auf ein bestimmtes Objekt richtet, sondern die ‚Angst vor dem Nichts’>> sagte der Philosoph Søren Kierkegaard. Es ist für Menschen nicht möglich, sich das Ende des Selbst wirklich vorzustellen. Deswegen kann dieser Gedanke geradezu Schwindel auslösen.

 

Existenzielle Psychotherapie

Innerhalb der Psychotherapie beschäftigen sich existenzielle Ansätze mit dem Tod, dem Sinn des Lebens und weiteren grundsätzlichen Themen. Beim existenziellen Denken geht es darum, über die menschliche Realität zu reflektieren.

 

Existentielle Grunderfahrungen wie die Endlichkeit des Lebens und die Unklarheit über den Sinn des Lebens betreffen alle Menschen. Sie sind keine Probleme, die sich direkt "lösen" lassen. Es geht stattdessen darum, mit ihnen zu leben und eine Haltung zu ihnen zu entwickeln. Viele Menschen stellen sich die Frage: Wie kann ich angesichts meiner Endlichkeit mein Leben sinnvoll gestalten? Im Rahmen einer Verhaltenstherapie können existenzielle Themen wichtig sein - allerdings ist die Beschäftigung mit Fragen wie dem Sinn des Leben nicht bei allen Patienten zu jedem Zeitpunkt hilfreich: Zum Beispiel können bei Patient*innen, die sich in einer akuten Krise befinden (Suizidalität, schwere Depression) zunächst andere Interventionen sinnvoll sein.

Victor Frankl

Ein Vertreter existenzieller Psychotherapie war der österreichische Psychiater Viktor Frankl. Er nannte seinen Ansatz Logotherapie (das griechische Wort logos bedeutet Sinn): Frankls zentrales Thema war die Suche des Menschen nach Sinn. Er stützte seine Arbeit auf biographischen Erfahrungen, unter anderem im Konzentrationslager Auschwitz (wiki/..._trotzdem_Ja_zum_Leben_sagen). Die Forschung unterstützt seine These: Es wurde gezeigt, dass Menschen, die für sich eine Sinnhaftigkeit des Lebens gefunden haben, weniger Todesangst haben.

Irvin Yalom

Der amerikanische Psychoanalytiker Irvin Yalom veröffentlichte zunächst ein Sachbuch (Existenzielle Psychotherapie) über die "klassischen" existenziellen Themen Tod, Freiheit, Isolation und Sinnlosigkeit. Danach ging er dazu über, existenzielle Themen in Romanform (z.B.: Und Nietzsche weinte) und in Geschichten über seine psychotherapeutischen Behandlungen zu beschreiben. Yalom argumentiert ähnlich wie Frankl wenn er sagt, dass ein Leben ohne Sinn, Ziele, Werte oder Ideale für den Menschen Leiden verursacht. Er glaubt nicht, dass es "den" objektiven, kosmischen Sinn des Lebens gibt. Die herausfordernde Frage sei deshalb: <<Wie findet ein Wesen, das Sinn braucht, Sinn in einem Universum, das keinen Sinn hat?>>

© Thomas – stock.adobe.com
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Als Beispiel für einen hilfreichen Umgang mit der eigenen Endlichkeit nennt Yalom den "Welleneffekt": Jeder Mensch erzeuge Einflusskreise, die <<sich jahrelang oder sogar über Generationen hinweg, auf andere auswirken können>> - genauso wie Wellen, die entstehen, wenn ein Stein ins Wasser fällt. Die Wellen laufen noch lange fort, selbst wenn der Stein an sich keinen unmittelbaren Einfluss mehr hat.

Existenzphilosophie

Existenzielle Fragen wurden auch in der Philosophie thematisiert, oft in komplexen Beschreibungen, die aber gewinnbringend gelesen werden können. Beispiele für Philosophen und für Zitate von ihnen sind:

  • Marc Aurel, ein Stoiker, meinte: "Nicht den Tod sollte man fürchten, sondern dass man nie beginnen wird zu leben".

  • Epikur, der sich als medizinischer Philosoph verstand, ging davon aus, dass es das Ziel eines jeden Menschen sei, in Seelenruhe  zu leben. Aber die Angst vor dem Tod halte uns davon ab. Er argumentiert, dass der Tod gar nicht gefürchtet werden muss - da wir ihn ja gar nicht wahrnehmen, wenn wir tot sind: "Wo ich bin, ist der Tod nicht; wo der Tod ist, bin ich nicht“.

    Auf Epikur geht auch das sogenannte Symmetrie-Argument zurück: Der Zustand des Nicht-Seins in dem man vor seiner Geburt war, ist genau derselbe Zustand wie nach dem Tod. Da man keine Angst hat vor dem früheren Nicht-Sein, braucht man auch keine Angst zu haben vor dem späteren Nicht-Sein.

  • Friedrich Nietzsche zeigte durch ein Gedankenexperiment, warum ein unendliches Leben nicht erstrebenswert wäre. Denn es würde zur "ewigen Wiederkunft des Gleichen" kommen: Unser ganzes Leben, also jeder Moment, jede Handlung, jeder Gedanke, jedes Gefühl  würden sich immer wieder genau gleich wiederholten.

Vom Lebensende

Es gibt nur zwei Ereignisse, die alle Menschen auf der Welt verbindet: Die Geburt und das Sterben. Die Vorbereitung auf das eigene Lebensende ist die beste Vorbereitung für das Leben, sagt der Palliativmediziner Gian Domenico Borasio in seinem Buch, "Über das Sterben. Was wir wissen. Was wir tun können. Wie wir uns darauf einstellen".

 

Er habe allerdings die Beobachtung gemacht, dass sich Menschen nicht selten im Angesicht des Todes nicht hilfreich verhalten. Die Ursache dafür sei fast immer Angst. Angst sei das größte Hindernis für die Kommunikation über das Sterben und der Hauptgrund für einen ungünstigen Umgang mit dem Lebensende. Angst verzerre die Wahrnehmung, vermeide die Information und verhindere den Dialog. Genau dies seien aber die Voraussetzungen für eine gute Vorbereitung auf das eigene Lebensende.

 

Traditionell sei die vorherrschende Form des Umgangs von Ärzt*innen mit dem Lebensende von Patient*innen ein „Ankämpfen gegen den Tod“, berichten Trachsel und Maercker (2016). Erst in den letzten Jahren sei das Bewusstsein größer geworden, dass ein „gutes Sterben“ wichtiger sein kann als ein intensiver Kampf gegen den Tod.


Sachliche Informationen zum Lebensende

Angenommen, man wäre im Jahr 1820 geboren worden: Man hätte eine durchschnittliche Lebenserwartung von 33 Jahren gehabt. Die Lebenserwartung heute ist deutlich länger. Frauen erreichen im Durchschnitt ein Alter von 83 Jahren, Männer ein Alter von 78 Jahren (Angaben der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung - OECD). Diese Zahlen gelten für Deutschland. In anderen Ländern gibt es teils eine höhere Lebenserwartung (z.B. für Frauen in Japan: 87 Jahre), teils eine deutlich niedrigere Lebenserwartungen (z.B. für Männer in Sierra Leone: 49 Jahre).

 

Sterben und Tod sind nicht dasselbe: Sterben ist ein Teil des Lebens. Es ist die letzte Lebensphase vor dem Tod. Diese Phase kann kurz sein (z.B. bei einem plötzlichen Herzstillstand). Bei den meisten Menschen dauert sie jedoch länger. Weniger als 5% der Todesfälle passieren plötzlich und unerwartet bei voller Gesundheit. 

 

Die Sterbephase beginnt mit einer Funktionseinschränkung eines oder mehrerer lebenswichtiger Organe. Der Tod stellt einen Zusammenbruch der Tätigkeit der lebenswichtigen Körperorgane dar. Äußerlich erkennbar ist dieser Zusammenbruch durch die Beendigung der Herz- und Atemtätigkeit. Die lebenswichtigen Organe sind: Herz, Lunge, Leber, Niere und Gehirn. Alle Vorgänge, die zum Tod führen, tun dies über die Schädigung eines oder mehrerer dieser fünf Organe. Die meisten alten Menschen haben mehrere Erkrankung gleichzeitig (z.B. 82% der über 85-Jährigen haben drei oder noch mehr Erkrankungen).

 

Nach Erhebungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist die häufigste Todesursache in Ländern mit hohem Einkommen die chronische Erkrankung der Herzkranzgefäße (koronare Herzkrankheit / ischämische Herzkrankheit). Diese geht meist einher mit einer mangelnden Durchblutung des Herzens und dadurch mit einer mangelnde Sauerstoffversorgung aufgrund von Arteriosklerose (Einlagerungen in die Wände der Blutgefäße). Die Erkrankung kann dadurch zum Herzinfarkt führen. Die zweithäufigste Todesursache ist der Schlaganfall, also eine Durchblutungsstörung des Gehirns. Beispiele für weitere häufige Todesursachen sind die Demenz, Krebs im Bereich der Lunge / Bronchien / Luftröhre und chronische Erkrankungen der Lunge (COPD). 

Bücher, Filme, Links

Weitblicker und Zielverfolger ist ein Ratgeber von Harlich H. Stavemann. Es handelt von Lebenszielen. "Haben Sie auch schon einmal über den Sinn Ihres Lebens nachgedacht? Darüber, wozu das alles gut sein soll?", fragt der Autor zu Beginn. Stavemann beschreibt den Unterschied zwischen Wünschen und Zielen, er schildert, welche Funktion Ziele haben und welche Folgen sie nach sich ziehen. Er zeigt, dass emotionale Probleme die Folge nicht hilfreicher Zielsetzungen sein können. Das ist z.B. der Fall, wenn Ziele nicht aus eigener Kraft erreichbar sind. 

 

Dienstags bei Morrie. Die Lehre eines Lebens ist ein Buch von Mitch Albom: Mitch sieht eines Tages seinen alten Professor Morrie Schwartz im Fernsehen, der über seine unheilbare Krankheit (ALS) spricht. Mitch besucht Morrie und daraus wird ein Ritual: Jeden Dienstag treffen sie sich um über das Leben zu sprechen. Auch eine Verfilmung gibt es, ebenfalls mit dem Titel "Dienstags bei Morrie".

 

Last Lecture - die Lehren meines Lebens ist ein Buch von Randy Pausch: In den USA ist es Tradition, dass ein Professor am Ende seines Berufslebens eine letzte Vorlesung hält. Dabei geht es nicht nur um das spezielle Studienfach in dem man unterrichtet hat. Die Fragestellung ist eher: Welche Weisheiten würde man der Welt hinterlassen, wenn man wüsste, dass dies die letzte Chance ist, die man hat? Eine solche Vorlesung hielt auch Randy Pausch, Professor für Informatik, im Jahr 2007 unter dem Titel "Really Achieving Your Childhood Dreams". Zu diesem Zeitpunkt war er 46 Jahre alt - und an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt. Auf YouTube gibt es die Lesung in gesamter Länge (1h 26min) und als 10minütige Zusammenfassung. Randy Pausch starb am 25.07.2008.

 

In die Sonne schauen. Wie man die Angst vor dem Tod überwindet ist ein Buch von Irvin Yalom:  Yalom beschreibt, wie das Wissen um den Tod ein Weckruf sein kann, das eigene Leben bewusster zu leben. Insofern ist dieses Buch empfehlenswert. Patient*innen, die keine Psychoanalyse machen, sondern ein anderes Therapieverfahren, sollten wissen, dass Yalom als Psychoanalytiker schreibt: Zum Beispiel wenn er Träume von Patient*innen beschreibt, deren Symbolik für Therapeut*innen "verständlicherweise Penis und Samen" darstellen würden; wenn er schreibt, es bedürfe "detektivischen Spürsinns", um Todesfurcht "ans Licht zu bringen", denn sie "versteckt sich hinter anderen Symptomen und kann nur identifiziert werden, indem man sie erforscht, ja sogar ausgräbt"; wenn er Interventionen auswählt, weil Sigmund Freud 1895 seinen Patient*innen "eben diese Anweisung gab".

 

The Bucket List oder auf Deutsch Das Beste kommt zum Schluss ist eine US-amerikanische Tragikomödie. Es geht um den mürrischen Milliardär Cole (Jack Nicholson) und den gebildeten, aber armen Automechaniker Chambers (Morgan Freeman), die sich beide als Patienten auf der Krebsstation eines Krankenhauses begegnen. Chambers hat eine Liste geschrieben mit Dingen, die er noch erleben wollte bevor er stirbt, seine "Löffel-Liste" (bevor er "den Löffel abgibt"). Zunächst macht sich Cole darüber lustig. Schließlich fügt er aber selbst Punkte hinzu und zusammen brechen sie auf, um die Bucket List abzuarbeiten (von englisch "kick the bucket" = den Löffel abgeben).


Videos

Philosophischer Input auf Englisch

Philosophischer Input auf Deutsch