Depression

Symptomatik nach ICD-10

Die Symptome der Depression sind in der internationalen Klassifikation (ICD-10) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert. Die Hauptsymptome sind:

  • Bedrückte Stimmung die meiste Zeit des Tages fast jeden Tag.
  • Verlust des Interesses oder Verlust der Freude an Aktivitäten, die normalerweise angenehm waren.
  • Verminderter Antrieb oder erhöhte Ermüdbarkeit.

Zusätzliche Symptome sind:

  • Verlust des Selbstvertrauens / des Selbstwertgefühls.
  • Unbegründete Selbstvorwürfe / unangemessene Schuldgefühle.
  • Wiederkehrende Gedanken an den Tod / an Suizid; suizidales Verhalten.
  • Vermindertes Denkvermögen / Konzentrationsstörungen / Unschlüssigkeit / Unentschlossenheit.
  • Ruhelosigkeit / Gefühl des Getriebenseins. Oder Bewegungsarmut.
  • Schlafstörungen.
  • Appetitverlust oder gesteigerter Appetit und damit Gewichtsveränderung.

Depression bei Kindern und Jugendlichen

In der Vergangenheit bestanden verschiedene Meinungen darüber, ob sich und wie sich eine Depression bei Kindern und Jugendlichen zeigen kann. Aktuell wird davon ausgegangen, dass es altersübergreifende Kern-Symptome gibt. Gleichzeitig geht man vom Vorhandensein altersspezifischer Symptome aus.

 

Eltern und Lehrer*innen nehmen oftmals depressive Symptome (zurückgezogen und still sein etc.) von Kinder und Jugendlichen seltener wahr als die Kinder und Jugendlichen selbst. 


Ab wann ist eine Behandlung sinnvoll und notwendig?

Fast jeder kennt depressive Zustände von sich. Auch einzelne Symptome einer Depression sind sehr häufig (z.B. Schlafstörungen oder Minderwertigkeitsgefühle), ohne dass eine depressive Erkrankung vorliegt.

 

Ob es sich um eine behandlungsbedürftige Depression handelt, hängt von der Intensität des depressiven Zustandes, von dessen Dauer und seinem Einfluss auf den Alltag und die Lebensqualität ab. Bei der Beurteilung, wie groß der Einfluss der Symptomatik auf den Alltag ist, geht es um die Frage, ob Lebensanforderungen (wie die Schule) bewältigt werden können.

 

Psychotherapie im Rahmen der Krankenversicherung ist möglich, wenn die Depression als Erkrankung vorliegt.


Suizidalität

Zu den möglichen Symptomen einer Depression gehören sowohl Gedanken an den Tod als auch Suizidalität. Zum Verständnis ist es wichtig, die Begriffe zu definieren. Der Begriff Suizidalität wird als Oberbegriff verwendet für Suizidgedanken, Suizidpläne, Suizidversuche und Suizide.

 

Unter Suizidgedanken kann man alle Gedanken verstehen, die eine Person hinsichtlich der absichtlichen Beendigung ihres eigenen Lebens hat. Dabei unterscheidet man Gedanken ohne genau Handlungsabsicht von Gedanken, die aktive Handlungen umfassen.

 

Von einem Suizidversuch spricht man, wenn eine Person in gewissem Ausmaß die Absicht hatte, ihren eigenen Tod herbeizuführen, ein Verhalten gezeigt wurde, welches das Potenzial zur Selbstschädigung hatte bzw. von dem die Person dachte, dass es dieses Potenzial hatte. Eine Verletzung oder Schädigung kann, aber muss nicht eingetreten sein.

 

Bei einem Suizidversuch muss immer eine ärztliche / psychotherapeutische Diagnostik durchgeführt werden. Bei akuter Suizidalität (bevorstehendem Suizidversuch): Tel. 112 anrufen oder die Rettungsstelle des Krankenhauses aufsuchen.


Depression im Zusammenhang mit weiteren Erkrankungen

Depressive Störungen treten bei jungen Menschen sehr häufig gemeinsam mit anderen Störungen auf, wie Störungen des Sozialverhaltens oder Angststörungen.

 

Eine Depression kann sich als Folge anderer Erkrankungen und Gesundheitsfaktoren entwickeln. Zum Beispiel kann eine unbehandelte Angststörung, Zwangsstörung, Anorexia nervosa, Bulimia nervosa, Lese-/Rechtschreibstörung, der Missbrauch von Alkohol / Cannabis / anderen Drogen zu einer Depression führen.


Symptome nach DSM 5

Zum Vergleich sind hier die Symptome der Major Depressive Disorder nach dem US-amerikanischen DSM-5 aufgeführt:

  • Depressed mood (In children and adolescents, can be irritable mood);
  • Diminished interest or pleasure;
  • Weight loss;
  • Insomnia or hypersomnia;
  • Psychomotor agitation or retardation,
  • Fatigue;
  • Feelings of worthlessness;
  • Diminished ability to think or concentrate;
  • Reccurrent thoughts of death / suicidal ideation.

Häufigkeit

Das Lebenszeitrisiko (= die Wahrscheinlichkeit, im Laufe des Lebens mindestens einmal zu erkranken), ist groß:

  • Bei Männern: 12 bis 16 Prozent.
  • Bei Frauen: 20 bis 26 Prozent.

Es gibt Hinweise dafür, dass vor der Pubertät Jungen häufiger depressive Störungen haben, nach der Pubertät sind Mädchen häufiger betroffen.

Ursachen

Bei der Verursachung einer Depression geht man von einem multifaktoriellen Geschehen aus. Es gibt somit nicht die eine Ursache. Zu den multikausalen Erklärungsansätzen gehören u.a.

  • die genetische Prädisposition,
  • Lebensbelastungen wie z.B. Abwesenheit eines Elternteils durch Trennung, Scheidung oder Tod; psychische Erkrankung eines Elternteils; chronische Konflikte in der Familie; problematische Kommunikation in der Familie; Mangel an emotionaler Wärme in der Familie; ungünstige Erziehungsweisen; Leistungsprobleme in der Schule, zwischenmenschliche Konflikte in der Schule.
  • psychische Faktoren (z.B. erlernte Hilflosigkeit).

Verhaltenstherapeutische Modelle der Depression

Verursachung: Durch operante Konditionierung

Die Verstärker-Verlust-Theorie geht auf Peter M. Lewinsohn zurück, der sie veröffentlichte unter dem Namen "A behavioral Approach to Depression". Er betrachtet die Depression als Folge von Verhaltensweisen eines Menschen. Um das Modell zu verstehen, muss man wissen, wie die operante Konditionierung funktioniert.

 

Das Modell besagt: Eine Depression kann ausgelöst und aufrechterhalten werden, wenn das Verhalten einer Person nicht ausreichend positiv verstärkt wird. Einfacher formuliert: Ein Mangel an angenehmen Erfahrungen und ein Überwiegen belastender Erfahrungen löst depressives Verhalten wie z.B. sozialen Rückzug aus. Das Sich-Zurückziehen wird negativ verstärkt. Wer sich zurückzieht hat wiederum weniger Möglichkeiten, angenehme Erfahrungen zu machen.

Darauf aufbauende Behandlung: Mit operante Methoden

Aus dem dargestellten Problemmodell lässt sich ableiten, dass es hilfreich ist, mehr angenehme Aktivitäten durchzuführen. Ein höheres Aktivitätsniveau erhöht die Chancen, positive Verstärker zu erleben. Es verringern sich passive Verhaltensweisen (z.B. Grübeln), welche nicht mit positiver Verstärkung verbunden sind.

 

Ein weiteres Ziel besteht im Aufbau sozialer Kompetenzen. Depressive Patienten lernen, sich in sozialen Situationen so zu verhalten, dass die Interaktion von ihnen und anderen als angenehm erlebt wird.


Verursachung: Durch Gedanken

Das Modell der dysfunktionalen Kognitionen (Gedanken) und Schemata wurde von Aaron T. Beck entwickelt. Nach der „kognitiven Triade“ von Beck haben Betroffene...

  • ...ein negatives Bild von sich selbst. Betroffene denken geringschätzig und abwertend über die eigene Person.
  • ...ein negatives Bild von der Welt. Betroffene sehen in der Interaktion mit ihrer Umwelt ausschließlich Misserfolge, Benachteiligung und Enttäuschungen.
  • ...ein negatives Bild von der Zukunft. Betroffene gehen davon aus, dass Niederlagen und Frustrationen kein Ende finden.

Bei depressiven Patient*innen finden kognitive Verzerrungen (cognitive distortions) oder kognitive Fehler (cognitive errors) im Denken statt:

  1. Dichotomes Denken: Das Denken findet in Schwarz-Weiß-Kategorien statt ("Schule ist scheiße").
  2. Katastrophisieren: Es wird vom schlimmsten möglichen Ausgang ausgegangen ("Meine Kopfschmerzen kommen von einem Gehirntumor"). Oder die negativen Konsequenzen eines Ereignisses werden überbewertet ("Wenn ich keinen guten Schulabschluss habe, werde ich auf der Straße landen").
  3. Personalisieren: Man denkt, dass man ausschließlich selbst Schuld hat an einem negativen Ereignis ("Es ist meine Schuld, dass meine Eltern streiten")
  4. Willkürliches Schlussfolgern: Man zieht eine Schlussfolgerung ohne dass es einen Beweis dafür gibt ("Ich werde das niemals schaffen!")
  5. Übergeneralisierung: Man macht einzelne Erfahrungen, die als allgemeingültig bewertet werden (nach einem Streit mit einem Freund: "Wir werden für immer verfeindet sein").
  6. Selektive Verallgemeinerung: Obwohl es sowohl Pro- als auch Contra-Argumente gibt, wird ausschließlich einseitig bewertet (in der Schule wird man von einigen Personen freundlich behandelt, von anderen unfreundlich, aber der Gedanke ist: "Alle sind gegen mich")
  7. Maximieren oder Minimieren: Die Bedeutung eines Ereignisses wird überbewertet oder unterbewertet (Beispiel für das Maximieren: "Wenn meine Mutter mich nicht anruft, hat sie bestimmt einen Unfall gehabt").
  8. Emotionale Beweisführung: Ein Gefühl wird als Beweis für die Richtigkeit eines Gedankens herangezogen - so als ob eine Tatsache vorliegen würde („Ich fühle mich dick - natürlich bin ich dann auch dick, sonst würde ich das doch nicht fühlen"; "Meine Eifersucht ist ein Beweis dafür, dass mein Partner mir fremdgeht, sonst hätte ich dieses Gefühl nicht")
  9. Etikettierung: Es wird eine umfassende Bewertung über die gesamte Person aufgestellt ("Ich bin ein Versager"; "Ich bin ein Mensch, der...")
  10. Gedankenlesen: Die Überzeugung, zu wissen, was jemand anderes denkt ("Jetzt denken alle, ich bin dumm"; "Der guckt so komisch, der mag mich bestimmt nicht").
  11. Selektive Aufmerksamkeit: In einem Tunnelblick werden nur bestimmte Teile des eigenen Lebens betrachtet und andere Teile ignoriert ("Wenn ich die Klausur nicht schaffe, ist mein Leben am Ende")

Dieses einseitige Denken wird ausgelöst durch negative Ereignisse im Leben von Personen. Es liegt an zwei Gründen, warum diese unrealistischen Gedanken bei vielen Patienten beharrlich sind und nicht ganz leicht wieder weg gehen:

 

Zum einen laufen diese Gedanken weitgehend automatisiert ab, oftmals werden sie von Betroffenen gar nicht bemerkt, sie passieren meistens unbewusst.

 

Zum anderen sind diese Gedanken, die in konkreten Situationen auftreten, verbunden mit weiteren Gedanken: Sie beruhen auf allgemeineren Grundannahmen, die eine Person zu einer früheren Zeit seines Lebens ausgebildet hat.

© Dmitry – stock.adobe.com
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Darauf aufbauende Behandlung: Kognitive Therapie

Da eine Depression durch Gedanken (Kognitionen) verursacht wird, besteht eine hilfreiche Behandlung in einer kognitiven Umstrukturierung zur Veränderung der automatischen Gedanken. So kann die kognitive Umstrukturierung ablaufen:

  1. Vermittlung des kognitiven Modells. Hierbei geht es um die Unterscheidung von Gedanken, Gefühlen, Körperzuständen und dem Verhalten. Die Patient*innen lernen, welchen Einfluss Gedanken auf Gefühle, den Körperzustand und das gezeigte Verhalten haben.
  2. Herausarbeiten der Gedanken, die in typischen Problemsituationen auftreten. Dies geschieht durch Selbstbeobachtung der Patient*innen und durch die gemeinsame Analyse in der Therapiesitzung.
  3. Hinterfragen dieser Gedanken. Den Patient*innen werden Fragen gestellt, sodass sie selbst herausfinden können, welche ihrer Gedanken dysfunktional sind (sokratischer Dialog).
  4. Erarbeiten hilfreicherer Gedanken.
  5. Einüben von diesen neuen hilfreicheren Gedanken in den typischen Problemsituationen. Hierzu können z.B. Rollenspiele durchgeführt werden, die Gedanken auf Kärtchen aufgeschrieben werden etc.

Modell der erlernten Hilflosigkeit

Dieses Modell wurde von Martin Seligman geprägt. Erlernte Hilflosigkeit meint die Erwartung, dass man unangenehme, problematische Situationen nicht beeinflussen kann. Diese Erwartung führt dazu, dass eine Person ihr Verhalten einengt und nichts mehr unternimmt, um Probleme und Belastungen zu überwinden. Diese Selbstbeschränkung und Passivität ist verursacht durch frühere Erfahrungen der Hilf- und Machtlosigkeit. 

 

Bei Kindern und Jugendlichen mit einer Depression, finden sich in diesem Zusammenhang oft unzureichend erlernte Fertigkeiten zur Bewältigung von Entwicklungsaufgaben (z.B. das eigenständige Erledigen von Hausaufgaben, die Gestaltung von Kontakten zu Gleichaltrigen).

Bücher und Ratgeber für Patient*innen und Angehörige

Ratgeber Depression. Informationen für Betroffene und Angehörige (M. Hautzinger)

 

Ratgeber Traurigkeit, Rückzug, Depression. Informationen für Betroffene, Eltern, Lehrer und Erzieher (G. Groen, W. Ihle, M.E. Ahle, F. Petermann)

 

Wie wird mein Kind wieder glücklich? Praktische Hilfe gegen Depression (G. Groen, F. Petermann)

 

Depressionen im Kindes- und Jugendalter: Erkennen | Verstehen | Helfen (C. Nevermann, H. Reicher)

 

Mein schwarzer Hund. Wie ich meine Depression an die Leine legte (M. Johnstone)

 

Mit dem schwarzen Hund leben. Wie Angehörige und Freunde depressiven Menschen helfen können, ohne sich dabei selbst zu verlieren (M. Johnstone, A. Johnstone)

Leitlinie für Patient*innen und Behandler*innen

Patientenleitlinie Unipolare Depression

 

Für Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen: Nationale Versorgungs-Leitlinie Unipolare Depression

 

Leitlinie zur Behandlung von depressiven Störungen bei Kindern und Jugendlichen: Geplante Fertigstellung 8-2021 (frühere Leitlinie von 2013)

Fachliteratur für Psychotherapeut*innen

Kognitive Verhaltenstherapie bei depressiven Kindern und Jugendlichen (R. C. Harrington)

 

Therapie-Tools Depression (E. Faßbinder, J.P. Klein, V. Sipos, U. Schweiger)

 

Therapie-Tools Depression im Kindes- und Jugendalter (G. Groen, F. Petermann)

 

Depression: Leitfaden Kinder- und Jugendpsychotherapie (W. Ihle, G. Groen, D. Walter, G. Esser, F. Petermann)

 

Kognitive Verhaltenstherapie bei Depressionen (M. Hautzinger)

 

Praxis der Kognitiven Verhaltenstherapie (J.S. Beck)

 

Psychotherapie suizidaler Patienten. Therapeutischer Umgang mit Suizidgedanken, Suizidversuchen und Suiziden (T. Teismann, C. Koban, F. Illes, A. Oermann)